DNGK-Vorsitzende Corinna Schaefer ist stellvertretende Leiterin des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ). Sie sagt: „Das Arzt-Patienten-Gespräch muss gestärkt werden. Mit hochwertigen, anlassbezogenen Gesundheitsinformationen.“
„Vor allem aber brauchen Menschen jemanden, der ihnen beim Verstehen und Einordnen von Informationen hilft.“
Corinna Schaefer
acrobat.healthcare: Frau Schaefer, laut der HLS-GER-Studie der Univerität Bielefeld verfügen über 50 Prozent der Bundesbürger über eine mangelhafte Gesundheitskompetenz. Das ist eine sehr hohe Zahl. Wie kommt das zustande?
Corinna Schaefer: Das ist eine gewagte Aussage. Die Studie zeigt nicht, dass über die Hälfte aller Deutschen eine mangelhafte Gesundheitskompetenz hat. Sondern über die Hälfte der befragten Personen gibt an, dass sie Probleme hat, Gesundheitsinformationen zu finden und zu bewerten. Wenn Sie objektiv messen würden, ob die Befragten eine Gesundheitsinformation, die sie finden, auch wirklich verstehen, käme vermutlich etwas anderes raus. Ich finde es schade und falsch, dass diese wichtige Studie immer wieder auf eine Aussage reduziert wird, die sie gar nicht hergibt.
acrobat.healthcare: Aber es bleibt der Punkt, dass über die Hälfte der Bürger offensichtlich Schwierigkeiten hat, einen Zugang zu verlässlichen Gesundheitsinformationen zu erhalten – was sich negativ auf die Gesundheitskompetenz auswirken kann. Wie können wir das ändern?
Corinna Schaefer: Es ist nicht der Einzelne, der kompetenter werden muss. Es ist eine strukturelle Aufgabe. Wir müssen sicherstellen, dass Menschen gute gesundheitsbezogene Entscheidungen treffen können. Dazu gehört, gute medizinische Informationen sichtbar und verständlich zu machen. Aus meiner Erfahrung als stellvertretende Leiterin des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ) kann ich zudem sagen, dass wir es dabei mit sehr unterschiedlichen Zielgruppen zu tun haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir Informationen zwar immer nach einem hochwertigen Vorgehen erstellen, aber auf die jeweiligen Zielgruppen zugeschnitten aufbereiten. Wir stehen im direkten Austausch mit Betroffenen und erfahren, wie unterschiedlich deren Anforderungen sind. Es gibt diejenigen, die medizinische Informationen sehr einfach aufbereitet benötigen und jene, die sich auch komplexe Informationen wünschen.
acrobat.healthcare: Was bedeutet das ganz praktisch?
Corinna Schaefer: Das Aufbereiten der Gesundheitsinformation in verschiedenen Formaten ist meiner Meinung nach das, was zu wenig geschieht. Erklärvideos, Comics, Animation auf dem Computer… Dabei ist noch relativ unklar, welche Formate wirklich hilfreich sind. Ärztinnen und Ärzte aber berichten immer wieder, dass es auch einen hohen Wert hat, dem Patienten oder der Patientin für die Nachbereitung des Gesprächs ganz altmodisch ein Blatt Papier mit Informationen an die Hand zu geben.
acrobat.healthcare: Kann in diesem Kontext Leichte Sprache helfen?
Corinna Schaefer: Wir probieren im Rahmen eines Kooperationsprojektes gerade aus, Gesundheitsinformationen in Leichte Sprache zu übersetzen und stellen fest, dass es schwierig ist, komplexe medizinische Inhalte zu vereinfachen. Wir wissen aber auch aus der Alphabetisierungsstudie, dass das Thema wichtig ist. Etwa sieben Millionen Menschen in Deutschland können demnach keinen zusammenhängenden Text lesen. Das zeigt, wie wichtig kurze, einfache Gesundheitsinfos in Leichter Sprache sind. Es ist gut und wichtig, herauszufinden, was wir in Leichte Sprache übersetzen können. Doch bei allen Bemühungen: Irgendwo gibt es eine Grenze, weil sich medizinisch komplexe Vorgänge nicht immer so vereinfachen lassen, dass sie in dieses Format passen. Da bleibt einiges auf der Strecke. Leichte Sprache heißt auch, dass man genau abwägen muss, welche Inhalte man vermittelt und auf welche man verzichten muss.
acrobat.healthcare: Was sind aus Ihrer Sicht die Maßnahmen, die Deutschland in Sachen Gesundheitskompetenz nach vorne bringen könnten?
Corinna Schaefer: Es gibt bereits jetzt viele Institutionen, die gute Gesundheitsinformationen zur Verfügung stellen. Aber sie sind zu wenig bekannt. Es ist dringend nötig, dass diese Kräfte gebündelt werden und endlich eine Plattform geschaffen wird, die diese guten, gesicherten und unabhängigen Gesundheitsinformationen allgemein zugänglich macht. Dafür setzen wir uns auch als Deutsches Netzwerk Gesundheitskompetenz ein. Das sollte eigentlich das „nationale Gesundheitsportal“ werden, das vom Bundesgesundheitsministerium beauftragt werden sollte. In welcher Form es allerdings kommt und ob es wirklich die richtig guten Informationen bereitstellt, ist vollkommen unklar. Vor allem aber brauchen Menschen jemanden, der ihnen beim Verstehen und Einordnen von Informationen hilft. Deshalb gehört viel, viel mehr von diesen ganzen Inhalten ins ärztliche Gespräch. Dafür fehlen einerseits Materialien und andererseits die Zeit. Da braucht es andere Strukturen. Das Arzt-Patienten-Gespräch muss gestärkt werden. Wie? Mit hochwertigen, anlassbezogenen Informationen, die Ärztinnen und Ärzte beim Gespräch unterstützen. Wir müssen davon weg, nur ganze Broschüren zu entwickeln. Information gehört ins Gespräch. Eine Broschüre ist ein nettes Add-on.
Unser Interviewgast
Corinna Schaefer, M.A., ist stellvertretende Leiterin des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ). Außerdem ist sie Vorsitzende des Deutschen Netzwerks Gesundheitskompetenz (DNGK e.V.) und der Patient and Public Involvement Working Group – Guidelines International Network G-I-N.
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