Auf Was hab’ ich? können Patienten sich Arzt-Befunde in für sie verständliche Sprache übersetzen lassen. Das Portal ist erfolgreich. Ein Armutszeugnis für unser Gesundheitssystem? “Ja”, sagt Ansgar Jonietz, Geschäftsführer und einer der Gründer der Plattform. Er hat recht.
Die Mitarbeiter von Was hab’ ich? können sich über zu wenig Arbeit nicht beschweren. Die Nachfrage, so Ansgar Jonietz, sei groß und werde sogar künstlich gedeckelt. Das ist erfreulich, auf der anderen Seite aber auch ein wenig erschreckend. Der Need auf Patientenseite, einen Übersetzer für ärztliche Befunde zu finden und überhaupt erst eimal zu verstehen, was man hat, scheint groß zu sein. Offensichtlich findet Kommunikation hier nicht zielgruppengerecht statt und lässt einen der maßgeblichen Akteure im Gesundheitssystem, den Patienten, im Regen stehen.
Für eine Agentur wie acrobat.healthcare, die an den Mehrwert von maßgeschneiderter Kommunikation glaubt und genau für diese steht, ist das nicht wirklich akzeptabel. Für Ansgar Jonietz auch nicht.
Herr Jonietz, Sie selber sind ursprünglich selbstständiger IT-Berater. Wie sind Sie darauf gekommen, Was hab’ ich? zu starten?
Ansgar Jonietz: Ich habe das Projekt 2011 mit zwei befreundeten Medizinstudenten gestartet. Diese wurden damals oft von Freunden zu deren Befunden befragt. Daraus entstand bei uns wiederum die Frage: Was machen Menschen, die keine Mediziner im Freundeskreis oder Familie haben. Wir suchten daraufhin einen digitalen Ansatz, um für diese Menschen eine Anlaufstelle zu schaffen. Vier Tage später gingen wir mit einer schlichten Website Online. Wir haben sehr schnell gemerkt, dass die Nachfrage unheimlich hoch war und haben schon eine Woche später zusätzliche Übersetzer gesucht, weil wir nicht mehr hinterher kamen.
Was will Was hab’ ich? genau und wie funktioniert die Plattform?
Ansgar Jonietz: Wir bieten Patienten die Möglichkeit, uns über die Plattform für sie unverständliche Befunde einzureichen und eine kostenlose Übersetzung in leicht verständliches Deutsch zu erhalten. Das funktioniert so: Der Nutzer lädt das Dokument hoch, tippt es ab oder faxt es uns. Der Befund landet dann bei unserem Medizinerteam. Das ist ein Team aus Medizin-Studenten und Ärzten, die ehrenamtlich bei uns arbeiten. Diese erhalten bei uns im Vorfeld eine Kommunikationsausbildung, in der sie auch lernen, selber besser mit ihren Patienten zu kommunizieren.
Was ist das für eine Kommunikationsausbildung?
Ansgar Jonietz: Der Mediziner, der neu zu uns ins Team stößt, lernt als erstes in einem Online-Tutorial die Grundlagen von leicht verständlicher Sprache. Er bekommt außerdem ein Handbuch per Post zugeschickt. Auf dieser Basis beginnt er, erste Befunde zu übersetzen. Das sind standardisierte Übungsbefunde. Er erhält im Anschluss immer ein telefonisches Feedback von einem unserer Supervisoren. Das sind bei uns fest angestellte Ärztinnen und Ärzte. Dann folgen erste Patientenbefunde, immer mit Feedback des Supervisors.
“Der MRT-Befund ist bei uns der Klassiker”
Was macht eine leicht verständliche Sprache denn aus? Wie definieren Sie diese?
Ansgar Jonietz: Es gibt verschiedene, definierte Konzepte. Zum Beispiel die leichte Sprache oder die einfache Sprache. Daraus haben wir unser Sprachniveau abgeleitet. Das sind Dinge wie: Kurze Sätze, Aktiv statt Passiv, Fachbegriffe vermeiden.
Diese kommunikative Schulung braucht es zu Beginn wirklich?
Ansgar Jonietz: Ja. Wir merken häufig, dass das Bewusstsein für die eigene Fachsprache fehlt. Im Studium beispielsweise sprechen Sie nur mit Medizinern, auch später arbeiten Sie mit Fachvokabular. In der medizinischen Ausbildung spielt kommunikatives Training immer noch eine untergeordnete Rolle. Uns geht es bei unserer Ausbildung deshalb auch darum, dass der Übersetzer oder die Übersetzerin die Grundsätze leicht verständlicher Sprache und damit den Perspektivwechsel verinnerlicht und später auch mündlich anwenden kann.
Was für Briefe und Befunde kommen bei Ihnen an?
Ansgar Jonietz: Die Befunde, die direkt vom Patienten kommen, sind bunt gemixt: Ambulante Befunde, sehr viele radiologische Befunde. Der MRT-Befund ist bei uns der Klassiker, der ist häufig sehr unverständlich formuliert. Oftmals kommt der Brief ohne weiterführende Erklärung seitens des Arztes/der Ärztin. Der Patient fragt sich dann wirklich: Was hab’ ich?
“Alle schriftlichen Dokumente, die es gibt, sind nicht für den Patienten geschrieben und gedacht.”
Wie viele Patienten nutzen den Dienst und wo liegt das Durchschnittsalter?
Ansgar Jonietz: Wir haben über 40.000 Befunde in den acht Jahren, in denen wir das machen, übersetzt. Die Nachfrage ist eigentlich höher. Wir deckeln diese bewusst mithilfe einer limitierten Warteliste, die morgens ab 7 Uhr freigeschaltet ist. Die Patienten müssen sich also mit ihrer eMail-Adresse morgens eintragen. Wir rechnen aus, wie viele Übersetzungen wir an diesem Tag schaffen werden und schließen bei Erreichen der Anzahl die Liste. Patienten, die sich zu spät anmelden, müssen sich am nächsten Tag erneut eintragen. Wir können also nicht sagen, wie groß die Nachfrage nach unserer Dienstleistung insgesamt ist. Nur so viel: Wir sind vollends ausgelastet. Das Klientel ist tatsächlich etwas älter; es hat laut letzter Befragung ein Durchschnittsalter von 59 Jahren.
Ist das nicht ein Armutszeugnis für ein Gesundheitssystem, dass da draußen überhaupt so ein großer Need für einen Service wie dem Ihren unter den Patienten vorhanden ist?
Ansgar Jonietz: Ja. Ich in froh, dass sie sagen: Gesundheitssystem, denn das Problem ist ein systemisches. Für einzelne Akteure wie beispielsweise für die Ärzteschaft ist die hohe Nachfrage nach washabich.de kein Armutszeugnis. Aus meiner Sicht spielen in diesem Kontext zwei Dinge eine große Rolle: Die Kommunikationsausbildung hat immer noch ein relativ geringes Gewicht in der Medizinausbildung. Und es ist systemisch nicht vorgesehen, den Patienten schriftliche Information zu geben. Alle schriftlichen Dokumente, die es gibt, sind nicht für den Patienten geschrieben und gedacht. Das ist ein großer Fehler. Denn der Patient wird nicht berücksichtigt.
“Ein Beispiel ist der strukturierte Medikationsplan, den die KBV 2016 beschlossen hat. Aus meiner Sicht sehr positiv. Aber auch der ist nicht patientenverständlich.”
Nun hat die Sächsische Landesärztekammer Ihre Kommunikationsausbildung als Fortbildung für Ärzte anerkannt. Jeder Arzt, der diese bei Ihnen absolviert, erhält fünf CME*-Punkte. Für Sie ein Fortschritt?
Ansgar Jonietz: Das ist eine tolle Anerkennung, auf die wir mehrere Jahre hingearbeitet haben. Das Positive ist vor allem das Signal, das die Ärztekammer hier gibt: Es ist wichtig, Kommunikation zu lernen und das auf Augenhöhe mit anderen Fortbildungen zu setzen.
Insgesamt regt sich im deutschen Gesundheitssystem einiges. Stichwort Digitalversorgungsgesetz. Gehen die Maßnahmen in Ihren Augen in die richtige Richtung?
Ansgar Jonietz: Die Richtung ist aus meiner Sicht richtig, aber es sind immer noch die ersten Schritte. Aus meiner Sicht werden erst einmal Strukturen geschaffen, ohne dass man den Patienten ausreichend berücksichtigt. Ein Beispiel ist der strukturierte Medikationsplan, den die KBV 2016 beschlossen hat. Aus meiner Sicht sehr positiv. Aber auch der ist nicht patientenverständlich. Es hätte nicht geschadet, einen Satz mehr zu jedem Medikament zu formulieren, damit der Patient den Sinn und die Wirkung des Präparats versteht. Das gilt auch für die die elektronische Patientenakte. Es geht auch hier erst einmal darum, die Informationen unter Ärzten auszutauschen. Verständlich ist der Inhalt für den Patienten immer noch nicht.
“Wir wissen, dass wir keine Akzeptanz erreichen, wenn der Arzt oder die Fachkraft einen Mehraufwand hat, der über 30 Sekunden hinaus geht.”
Heißt, hier fehlt ein Automatismus. Der Patient wird nicht automatisch berücksichtigt und muss selber aktiv werden. Wie ändern wir das?
Ansgar Jonietz: Auf unterschiedlichen Wegen. Über den Patienten, über den Arzt. Und über die Klinken. Wir arbeiten im Rahmen eines weiteren Projekts mit unterschiedlichen Kliniken zusammen. Aus unserer Sicht sind diese nämlich der wirkungsstärkste Weg, über den Sie viele Patienten erreichen und unterstützen können. Unser Ansatz bei diesem Projekt ist es, dem Patienten nach Ende des Krankenhausaufenthalts automatisch ein leicht verständliches Entlassdokument, einen Patientenbrief, mit auf den Weg zu geben. Er erhält alle Informationen leicht verständlich aufbereitet, ohne selber aktiv werden zu müssen. Das möchten wir etablieren.
Um das zu schaffen, braucht es leichte Zugangswege für die Akteure, oder? Sie entwickeln auch eine Software, die an das KIS oder Praxissystem angedockt werden kann und quasi automatisch übersetzt.
Ansgar Jonietz: Ja, aber Sie dürfen sich das nicht wie Google Translate vorstellen. Das Thema ist dann doch komplex. Wir arbeiten auf Basis der verschiedenen Codierung der Kliniken, diese können wir automatisiert verarbeiten. Im ambulanten Bereich ist das ein bisschen schwieriger, hier muss der Arzt zusätzliche Informationen geben, in Form von Mausklicks in einem standardisierten Dokument. Der Mehraufwand ist unter 30 Sekunden. Das ist Grundsatz für alle unsere Projekte. Wir wissen, dass wir keine Akzeptanz erreichen, wenn der Arzt oder die Fachkraft einen Mehraufwand hat, der über 30 Sekunden hinaus geht.
Sprechen Sie die Ärzte im Rahmen der Etablierung von Was hab’ ich? und des Patientenbriefs gezielt auf Ihr Angebot an, auch ob der CME Zertifizierung?
Ansgar Jonietz: Nein. Wir merken ja, dass das Interesse da ist. Wir arbeiten bereits jetzt mit rund 100 ehrenamtlich tätigen Ärzten zusammen. Die Unterstützung aus der Ärzteschaft für unsere Projekte ist groß. Wir hoffen auf eine eigene Dynamik. Zudem wir auch von Ärzten bestätigt bekommen, dass diese einen fühlbaren Mehrwert registrieren. Der Einweiser kann mit seinem Patienten ganz anders arbeiten, wenn dieser nach dem Krankenhausaufenthalt mittels Patientenbrief gut informiert vor ihm sitzt. Sie können im Arzt-Patientendialog auf einem ganz anderen Level ansetzen. Auch die Therapie-Adhärenz wird dadurch positiv beeinflusst: Der Patient arbeitet einfach besser mit, wenn er versteht, warum.
*Als CME-Punkte bezeichnet man die von einem Facharzt im Rahmen der Continuing Medical Education erworbenen Fortbildungspunkte.
Beitragsbild: Foto: Amac Garbe / amacgarbe.de
Über “Was hab’ ich?”
Gegründet 2011, arbeiten heute neun festangestellte Mitarbeiter bei dem Sozialunternehmen mit Sitz in Dresden. Das Team umfasst fünf Ärztinnen und Ärzte, einen Softwareentwickler, eine Kommunikationswissenschaftlerin, eine Projektassistentin und den Geschäftsführer Ansgar Jonietz (34). Zusätzlich unterstützen rund 100 ehrenamtliche Mediziner die Plattform. Davon sind 1/3 Ärzte, 2/3 Medizinstudenten ab dem achten Fachsemester. “Was hab’ ich?” ist eine gemeinnützige GmbH, die sich durch Spenden, Partner & Förderer sowie Forschungsprojekte finanziert.