Prof. Dr. med. Günter Ollenschläger ist Geschäftsführer und Mitbegründer des Deutschen Netzwerks Gesundheitskompetenz (DNGK e.V.). Das Netzwerk will gute Ansätze in der Vermittlung von Gesundheitsinformationen zusammenführen und das Thema Stärkung der Gesundheitskompetenz vorantreiben. Denn das, sagt er, lag lange brach.
„Es gibt viele Ansätze, aber kein durchgängiges System, das den Patienten in den Vordergrund stellt.
Es ist immer noch expertenkonzentriert.“Prof. Dr. med. Günter Ollenschläger
acrobat.healthcare: Herr Ollenschläger, Sie gehören zu den Mitbegründern des Deutschen Netzwerks Gesundheitskompetenz (DNGK e.V.). Seit Beginn 2019 ist das Netzwerk aktiv. Was sind Ihre Ziele?
Prof. Dr. med. Günter Ollenschläger: Das Ziel unseres Vereins ist es, Patientenorientierung und Gesundheitswissen über die Experten im Gesundheitswesen hinaus und an die Bürgerinnen und Bürger zu vermitteln. Dazu bedarf es einer interdisziplinären Vorgehensweise. Wir haben früher zu stark monoprofessionell gearbeitet, das heißt, nur mit Gesundheitsexperten. Aber das entspricht nicht mehr den modernen Ansprüchen. Heute braucht es viele Perspektiven und Professionen, um Gesundheitsinformationen zu entwickeln und zu verbreiten. Wir haben in unserem Netzwerk neben den Ärztinnen und Ärzten zum Beispiel Leute aus dem Bildungssystem oder der Selbsthilfe.
acrobat.healthcare: Es gibt so viele Netzwerke und Institutionen, die gute Ansätze in diesem Kontext verfolgen. Aber seien wir ehrlich: Sind das nicht zu viele Insellösungen?
Prof. Dr. med. Günter Ollenschläger: Absolut. An verschiedenen Stellen wird gearbeitet, aber eine Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteure hat es zum Thema Gesundheitskompetenz bisher kaum gegeben. Deshalb gibt es das DNGK. Wir spüren, dass durchaus nicht alle begeistert sind, dass da jetzt noch ein neuer Player aktiv ist, der sagt: Ihr macht gute Sachen. Aber bitte tauscht euch aus. Auch mit Mitbewerbern. Denn eine Parallelentwicklung von vielen guten Ideen verunsichert die Bürger zusätzlich.
acrobat.healthcare: Das heißt, es braucht zentrale Zugänge zum Bürger und die richtigen Partner, um das Thema voranzubringen. Wie steht es mit dem Format der Gesundheitsinformation? Stichwort Leichte Sprache.
Prof. Dr. med. Günter Ollenschläger: Das Thema ist immer noch neu, weil es auch mit einer Tabusierung einher geht. In dem Moment, indem Sie sagen, Sie verstehen Gesundheitsinformationen nicht oder dass Sie Schwierigkeiten beim Leseverständnis haben, haben Sie automatisch das Gefühl der Benachteiligung. Auch die Entwicklungsbeteiligung sozial benachteiligter Bürger ist methodisch natürlich viel herausfordernder. Da gibt es einige Barrieren, die einmal öffentlich benannt und definiert werden müssen, um eine Partizipation zu gewährleisten. Und um öffentliche Feigenblattaktivitäten einzudämmen. Es ist die Aufgabe von Institutionen, das Verständnis von Gesundheitsinformationen zu ermöglichen. Genauso, wie Sie das Recht haben, Ihre Elektrizitätsabrechnung nachvollziehen zu können, haben Sie einen Anspruch darauf, beispielsweise Arztbriefe zu verstehen.
acrobat.healthcare: Wie wollen Sie als Verein agieren? Wie wollen Sie Ihre Ansätze kommunizieren?
Prof. Dr. med. Günter Ollenschläger: Wir verbreiten und unterstützen Best Practice Beispiele. Davon gibt es bereits einige. Nehmen Sie zum Beispiel Was hab’ ich in Dresden. Oder Share to care in Kiel. Es gibt viele Ansätze, aber kein durchgängiges System, das den Patienten in den Vordergrund stellt. Es ist immer noch expertenkonzentriert. Darauf machen wir mit dem Austausch und der Unterstützung mit und von Projekten aufmerksam. Daneben wird es auch um den politischen Austausch gehen. Der Verein wird nicht nur als wissenschaftlicher Expertenaustausch gesehen.
acrobat.healthcare: Warum ist das Thema Gesundheitskompetenz eigentlich so wichtig, auch gesellschaftlich gesehen?
Prof. Dr. med. Günter Ollenschläger: Gesundheitskompetenz ermöglicht Selbstbestimmung in gesundheitsbezogenen Fragen. Und Selbstbestimmung im Gesundheitssystem, das heißt eben auch: kritischerer Umgang mit interessengeleiteten Gesundheitsinformationen und Heilsversprechungen. Und natürlich kann eine gute Gesundheitskompetenz zur Vermeidung von Über-, Unter- und Fehlversorgung führen. Fakt ist doch: Die Gesundheits- und Versicherungsindustrie ist interessengesteuert. Oder nehmen Sie die Ernährungsindustrie und die Diskussion um Übergewichtigkeit. Dem können Sie nur mit Aufklärung und Wissen begegnen. Aber ein Großteil der Informationen, die heute schon gut aufbereitet werden, kommt gar nicht beim Bürger an. Weil die Informationsangebote nicht an die Zielgruppen angepasst sind. Deshalb sind auch die Punkte Leichte Sprache, die zielgruppenorientierte Aufbereitung von Gesundheitsinformationen auch in Zusammenarbeit mit Betroffenen so wichtig. Damit Gesundheitsinformationen und Gesundheitskenntnisse bei den Zielgruppen ankommen.
acrobat.healthcare: Das Thema Gesundheitskompetenz ist ein weites Feld. Arzt-Patientengespräch, Prävention, Therapie,… . Wo anfangen?
Prof. Dr. med. Günter Ollenschläger: Man kann nicht das ganze Feld beackern. Das möchten wir auch nicht. Unser erster Ansatz ist, dass wir gezielt Institutionen im Gesundheitswesen – Krankenkassen, Versicherungen, Krankenhäuser, Praxen, Reha-Kliniken – ansprechen und hier Programme etablieren. Hier geht es um die Ausbildung und Sensibilisierung von Mitarbeitern in und für das Thema Gesundheitskompetenz und deren Vermittlung. Wir haben außerdem bereits Partner gefunden, die interessiert sind, die Methodik zum Thema Health Literacy mit ihren eigenen Projekten zu verknüpfen. Wir entwickeln zudem Positionspapiere zu gewissen Themen, um in den Dialog mit der Politik einzutreten.
acrobat.healthcare: Das klingt nach einer krakenartigen Aufgabe, die viel Geduld braucht.
Prof. Dr. med. Günter Ollenschläger: Das ist eine nahezu metastasierende Arbeit. Aber die Erfahrung zeigt: Mit Netzwerken können Sie einiges erreichen. Aber es sind dicke Bretter, die man bohren muss. Sie können nicht erwarten, dass Sie in wenigen Monaten etwas verändern, was seit Jahren brach liegt.
Unser Interviewgast
Prof. Dr. med. Günter Ollenschläger ist Internist, Apotheker, Medizinpublizist. Er ist Mitglied der Forschergruppe Gesundheitskompetenz am Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie IGKE am Uniklinikum Köln und Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Netzwerks Gesundheitskompetenz DNGK e.V. Sein Engagement beim DNGK fasst er so zusammen: „Im Mittelpunkt meines früheren beruflichen Lebens als Apotheker, Arzt und Gesundheitswissenschaftler standen Entwicklung und Verbreitung von Maßnahmen zur Stärkung des kritisch-wissenschaftlichen Denkens im Gesundheitswesen. Ich verspreche mir von der Mitarbeit im Netzwerk Gesundheitskompetenz, zur weiteren Verbreitung dieser Ideen über das Gesundheitswesen hinaus beitragen zu können.“
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